Grundlagen des Urheberrechts für Programmierer

Marvin Gülker · 04.03.2016

Der Artikel soll Programmierern einen kurzen Einblick in die Grundlagen des deutschen Urheberrechtsgewähren. Er richtet sich daher nicht an juristisches Fachpublikum, sondern an Laien.

Kategorien: Software, Recht

Der Verf. ist bekanntlich sowohl Student der Rechtswissenschaft als auch Open-Source-Programmierer. Es liegt deshalb nahe, sich mit den Rechtsfragen um Software zu beschäftigen. In (vermutlich sehr) unregelmäßigen Abständen sollen daher an Programmierer gerichtete Artikel zur Frage erscheinen, in welchem Verhältnis Software und Recht eigentlich stehen. Es steht also zu hoffen, dass dieser erste nicht auch zugleich der letzte Artikel zu dem Thema ist.

Der Artikel setzt kein juristisches Vorwissen voraus, ist aber tiefer als ein plakatives „das ist so“. Beleuchtet werden Rechtsgrundlagen und Folgen, um dem Leser ein grobes Bild über die Rechtslage verschaffen zu können. Alle Ausführungen beziehen sich auf die Rechtslage in Deutschland.

Zunächst ein paar Abkürzungen, der Einfachheit halber verwendet werden, die aber möglicherweise nicht jedem geläufig sind.

BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen mit Band, Seite.
BVerfGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mit Band, Seite.
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht mit Jahrgang, Seite.
MDR
Monatsschrift für deutsches Recht mit Jahrgang, Seite.

Warnung:
Dies ist keine Rechtsberatung. Für verbindliche Auskünfte konsultieren Sie bitte den (IT-Fach-)Anwalt Ihres Vertrauens.

Anmerkung:
Dieser Artikel ist im OSBN-Forum angekündigt worden. Wer also meint, er müsse die Themenbezogenheit dieses Beitrags in Frage stellen, tut das bitte im dortigen Topic.

Einführung

Software genießt in Deutschland — wie auch den meisten anderen Staaten dieser Welt — den Schutz des Urheberrechts. In einer Gesellschaft, die mehr und mehr sich abwendet von der körperlichen Arbeit hin zum geistigen Schaffen ist das Urheberrecht ein wichtiger Standpfeiler zur Sicherung des Auskommens der Urheber, auf den nicht verzichtet werden kann. Seine konkrete Ausgestaltung ist immer wieder für Anlass für kontroverse Diskussionen, wie etwa die Aussage des angesehenen Rechtsprofessors Gerald Spindler zuletzt deutlich machte, der die „heilige Kuh“ der Anonymität im Netz zugunsten der Rechteinhaber „schlachten“ wollte (dazu bei RA Stadler). Insofern ist die Weiterentwicklung des Urheberrechts durchaus mit Interesse zu verfolgen, Gegenstand dieses (und möglicher folgender) Artikel soll aber der aktuelle status quo sein.

Das Urheberrecht genießt in Deutschland Verfassungsrang. Es ist „Eigentum“ im Sinne des Art. 14 GG11 BVerfGE 31, 229 — Schulbuchprivileg. . Von Verfassungs wegen ist es jedoch dem Gesetzgeber erlaubt „Inhalt und Schranken durch die Gesetze“ (Wortlaut Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) festzulegen, d.h. das Grundgesetz garantiert lediglich die Existenz des Eigentums, auch des geistigen Eigentums, überlässt die konkrete Gestaltung jedoch dem Gesetzgeber. Dieser hat in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Befugnis dazu das am 9. Oktober 1965 in Kraft getretene Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz — UrhG) erlassen, welches seitdem mehrfach geändert worden ist. Ursprünglich wusste das UrhG nichts von Computern und Programmen, als man sie später einpflegte, tat man dies an einer Stelle, die Laien durchaus zum Schmunzeln anregt (Hervorhebung d.d. Verf.):

§ 2 - Geschützte Werke

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere:

  1. Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme

Computerprogramme sind also etwas ähnliches wie Reden. Oder wie Bücher. Der Gesetzgeber zählt sie zu den Werken der Literatur und Kunst. Diese Bestimmung jedenfalls eröffnet den Schutz des Urheberrechts für Computerprogramme. Ohne sie hätte das zweifelhaft sein können, denn technische Vorgänge genießen keinen urheberrechtlichen Schutz. Sie können allenfalls temporär patentiert werden.

Was also ist das Urheberrecht nun? Juristen sprechen von einem „absoluten“ Recht, im Gegensatz zu „relativen“ Rechten. Während relative Rechte nur die an ihnen Beteiligten betreffen — das betrifft insbesondere Verträge —, gelten absolute Rechte gegenüber jedermann, auch dann, wenn zwischen dem Rechteinhaber und dem Unbekannten überhaupt keine Rechtsbeziehungen bestehen. Das Paradebeispiel für ein absolutes Recht ist das Eigentum (das richige, das an physischen Gegenständen). Der Eigentümer darf von jedem, der unberechtigt Einfluss auf seine Sachen nimmt, Beseitigung und Unterlassung verlangen (§ 1004 BGB). Ein anderes Beispiel für ein absolutes Recht, das dem hier besprochenen digitalen Raum näher ist, ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung22 Entwickelt in BVerfGE 65, 1 — Volkszählung. . Auch dieses Recht erlaubt es dem Inhaber, auf der Grundlage von § 1004 BGB analog33 Der Jurist spricht von einer Analogie, wenn der Gesetzgeber in der Rechtsordnung eine planwidrige (also ungewollte, weil nicht gesehene) Regelungslücke gelassen hat, die im Sinne eines funktionierenden Rechtsschutzes von der Rechtsprechung durch Heranziehung von Normen, die ähnlich gelagerte Fälle behandeln, zu schließen ist. gegen jeden Verletzer vorzugehen, etwa dann, wenn Fernsehsender durch Lächerlichmachen ihre Quote steigern wollen.

Auch das Urheberrecht und die aus ihm fließenden Nutzungsrechte (dazu sogleich) ist solch ein absolutes Recht, das dem Rechteinhaber ein Vorgehen gegen jeden Verletzer ermöglicht.

Das einheitliche Urheberrecht

Hinweis:
Dieser Abschnitt ist nachträglich wegen Ungenauigkeiten überarbeitet worden.

Die weltweite Rechtslehre kennt zwei Modelle des Urheberrechts, die sich in ihrer Konzeption und Zielsetzung grundlegend voneinander unterscheiden: das europäische oder „kontinentale“ Modell und das angelsächsiche Modell. Dem angelsächsischen Modell liegt (besonders in seiner angloamerikanischen Ausprägung) eine sehr stark wirtschaftlich orientierte Sichtweise zugrunde, für die der Begriff des „geistigen Eigentums“ (engl. „intellectual property“) wohl angemessen ist. Es möchte das Eigentum an Sachen mit dem „Eigentum“ an Schöpfungen möglichst annähern, um eine möglichst hohe Verkaufsfähigkeit zu erreichen. Derartigen Bestrebungen erteilt das europäische Modell eine Absage, indem es die besondere Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinem Werk als zentrales Element des Urheberrechts anerkennt. Der Schöpfer bleibt im europäischen Modell zeitlebens mit seinem Werk verbunden, denn es enthält einen Teil seiner Persönlichkeit und Individualität (frz. „droit moral“), das Besondere des menschlichen Geistes und seiner Kreativität, seiner Einzigartikeit unter den Geschöpfen dieser Erde wird hervorgehoben und geachtet.

Dennoch beschränkt sich auch das europäische Urheberrecht natürlich nicht auf diese sehr romantische Sichtweise. Zunächst ist dabei festzuhalten, dass europäische Rechtsordnungen im allgemeinen und die deutsche im speziellen ein einheitliches Urheberrecht geschaffen haben (sog. „monistische Theorie“). Dieses ist bis zum Tode des Urhebers nicht übertragbar (§ 29 UrhG). Aus diesem einheitlichen Recht fließen zwei Aspekte:

  1. Das Urheberpersönlichkeitsrecht. Dies ist Ausdruck der persönlichen Beziehung des Urhebers zu seinem Werk.
  2. Die Verwertungsrechte. Dies sind die Rechte, die dazu dienen sollen, dass das Werk dem Schöpfer wirtschaftlichen Nutzen einbringt, damit er, profan ausgedrückt, von seiner Kreativität auch leben kann. Der Urheber kann Dritten Nutzungsrechte an ihnen einräumen.

Beide Rechte sind in den verschiedenen Rechtsordnungen Europas unterschiedlich stark ausgeprägt und fließen mehr oder weniger ineinander. Speziell in Deutschland ist das Urheberpersönlichkeitsrecht jedoch sehr stark ausgeführt; dennoch sind sie untrennbar miteinander verbunden. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille.

Enstehen und Ende des Urheberrechts

Aus dem obigen ergibt sich ganz natürlich, dass das Urheberrecht mit der Erschaffung eines Werks in der Person des Schaffenden (Urheber) ensteht (§ 7 UrhG), ohne, dass es dazu eines wie auch immer gearteten staatlichen Aktes bedarf — es genügt, wenn die Individualität des menschlichen Geistes sich in einem Werk manifestiert. Jeder erwirbt somit unmittelbar von Gesetzes wegen das Urheberrecht an dem von ihm erschaffenen Werk, auch dann, wenn er nicht geschäftsfähig ist (Minderjährige und Geisteskranke, §§ 104 f. BGB), denn Geschäftsunfähigkeit spricht dem Menschen nicht die Eigenschaft als Mensch ab (sondern nur die Fähigkeit, im Rechtsverkehr eigenständig zu handeln).

Mit dem Tode des Urhebers geht das Urheberrecht auf den oder die Erben über, §§ 28 f. UrhG. Gemäß § 64 UrhG erlischt es siebzig Jahre nach Ableben des Urhebers endgültig. Diese lange Schutzdauer führt oftmals zu Diskussionen, hat aber entgegen der landläufigen Meinung nur zum Teil mit dem Lobbyismus der Musikindustrie zu tun. Vergegenwärtigt man sich die Grundlage des Urheberrechts, nämlich den Aufluss der Individualität des Schaffenden als Element des Menschen als einzigartiges, einmaliges Geschöpf und anerkennt die besondere Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinem Werke, welches einen Teil seiner Persönlichkeit enthält, dann ist von vornherein klar, dass das Urheberrecht keinesfalls vor Ableben des Schöpfers erlöschen darf. Es kann nur noch darum gehen, wie lange das Urheberrecht post mortem fortwirken soll, wie lange also die Persönlichkeit des Schöpfers über seinen Tod hinaus Achtung vor seinem Werk und seinen Entscheidungen über die Verwertung des Werkes gebietet. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Schutzdauer anhand der erwarteten Lebensdauer der unmittelbaren Nachfahren des Schöpfers zu bemessen, also seiner Kinder, die den Schöpfer noch persönlich kannten. Bildlich gesprochen soll das Urheberrecht also so lange nicht erlöschen, wie der Schöpfer noch über seinen Tod hinaus in den Gedanken seiner Kinder, Freunde und Verwandten fortlebt. Erst, wenn er als Person vergessen ist, soll auch seinem Werk kein Schutz mehr gebühren. Die starre Grenze von siebzig Jahren dient dabei der Rechtssicherheit: denn wann ein Mensch wirklich aus den Erinnerungen aller anderen Menschen verschwunden ist, lässt sich vor Gericht nur schwerlich beweisen. Sie schafft außerdem den Ausgleich zwischen den Interessen des Urhebers einerseits und denen der Allgemeinheit andererseits, denn irgendwann wird ein Werk Teil der kulturellen Identität eines Volkes, an der ausschließliche Rechte nicht bestehen können.

Man mag hier lediglich darüber diskutieren, ob man dem Schöpfer die Möglichkeit einräumen soll, sich zu Lebzeiten von seinem Werke loszusagen, jedoch wird man diese Möglichkeit dann nicht gewähren können, wenn er bereits Nutzungsrechte eingeräumt hat, da dies dann wiederum in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit seiner Vertragspartner eingreifen würde. Das Urheberpersönlichkeitsrecht sollte kein Mittel sein, um einseitig Verträge aufkündigen zu können.

Die Schöpfungshöhe

Wie ausgeführt ist das Urheberrecht die Verrechtlichung der besonderen Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinem Werk. Werk aber ist nach § 2 Abs. 2 UrhG nur eine persönliche geistige Schöpfung, d.h. wenn dem geschaffenen Objekt diese besondere Individualität, die den menschlichen Geist ausmacht, abgeht, dann ist es kein Werk und genießt den Schutz des Urheberrechts nicht. Schreibt man etwa alle Telefonnummern seiner Freunde auf, so wird daraus auch dann kein Werk, wenn es hunderte sein sollten. Es hat keine geistige Betätigung stattgefunden und die resultierende Telefonnummernliste genießt keinen urheberrechtlichen Schutz, sofern sie nicht eine besondere künstlerische Gestaltung aufweist.

Man bezeichnet diesen Grad an erforderlicher Geistesbetätigung gemeinhin als Schöpfungshöhe oder Gestaltungshöhe44 BGH MDR 1983, 817, Urt. v. 27. Januar 1983 - I ZR 177/80 — Brombeer-Muster. . Mit der bloßen Wiedergabe nebeneinander liegender Brombeeren wird diese Schöpfungshöhe etwa nicht erreicht. Im Softwarebereich wird man ähnliches für Trivialprogramme (etwa „Hallo Welt“) annehmen können, jedoch hat die Rechtsprechung die Hürde eher niedrig aufgehängt55 vgl. BGH GRUR 1981, 267, Urt. v. 26. September 1980 - I ZR 17/78 — Dirlada für einen Schlager, BGHZ 123, 208 — Buchhaltungsprogramm für ein Computerprogramm. . Abseits dieser absolut einfachsten Objekte genießt fast alles den Schutz des Urheberrechts. Dieser Schutz der sogenannten „kleinen Münze“ wird dem kreativen Menschen in seiner Eigenschaft als Künstler nicht gerecht, ist aber heute Stand der Entwicklung. Triviale Objekte gehören nicht in den Schutzbereichs der Urheberrechts, allerdings hat der Gesetzgeber dies bisher noch nicht erkannt.

Ausblick

Damit beschließt der erste Beitrag zum Thema Urheberrecht. Voraussichtlich werden sich weitere Artikel mit den Einzelheiten des Urheberpersönlichkeitsrechts und den verschiedenen Verwertungsrechten beschäftigen, natürlich jeweils mit Blick auf das Verhältnis zu Software. Ein eigenes Kapitel könnte dem OSS-Lizenzrecht gewidmet werden.

Fußnoten:

3

Der Jurist spricht von einer Analogie, wenn der Gesetzgeber in der Rechtsordnung eine planwidrige (also ungewollte, weil nicht gesehene) Regelungslücke gelassen hat, die im Sinne eines funktionierenden Rechtsschutzes von der Rechtsprechung durch Heranziehung von Normen, die ähnlich gelagerte Fälle behandeln, zu schließen ist.