Das Ende von Freenode – das Ende von IRC?
Marvin Gülker · 19.06.2021
Der Beitrag ordnet die Ereignisse um Freenode und Libera.Chat in einen größeren Kontext um das Thema IRC im Allgemeinen ein. Es wird die Meinung vertreten, dass zwar viel Ungewissheit herrscht, aber speziell das destruktive Verhalten der neuen Freenode-Operatoren IRC vielleicht überraschenderweise mehr nutzt als schadet.
Kategorien: Messenger, Software
Es war in allen Technikmedien zu lesen: Das IRC-Netzwerk Freenode ist an internen Streitigkeiten zerbrochen. Sogar die c’t berichtete (c’t 13/2021, S. 51). Der Blogpost versucht mit dem Abstand eines Monats, eine größere Perspektive herzustellen, indem er zunächst über IRC im Allgemeinen spricht (I.), danach die Ereignisse um Freenode zusammenfasst (II.) und anschließend auf über Freenode hinausweisende Schlussfolgerungen eingeht (III.).
Zu IRC im Allgemeinen
Der Fels in der Brandung
Internet Relay Chat (IRC) ist ein Chat-Protokoll für Sofortnachrichten, das in seinen Ursprüngen bis in die 80er Jahre zurückgeht und als eines der wenigen noch in Gebrauch befindlichen „alten“ Kommunikationsprotokolle nicht direkt amerikanischen, sondern europäischen (genauer: finnischen) Ursprungs ist. 1993 wurde das Protokoll zwischen den Clients und den Servern dann als RFC 1459 von der IETF standardisiert. IRC hat damit alle später eingeführten Chat-Dienste, seien sie proprietär wie ICQ oder frei wie XMPP, überlebt. Bis jetzt erfreute sich IRC auch weiterhin insbesondere in der Community für Freie Software und Open Source Software (FOSS) großer Beliebtheit, wenngleich es namentlich durch optisch aufgehübschte proprietäre Dienste wie Slack derzeit in Bedrängnis gerät. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass diese proprietären Dienste ebenso schnell wieder verschwinden wie sie gekommen sind. Es wäre nicht das erste Mal, dass IRC sich als Fels in der Brandung erweist. Der Zeichner Monroe hat das in seiner unnachahmlichen Art wie aus Abb. 1 ersichtlich zusammengefasst.

IRC hat sich im Übrigen nicht nur gegenüber proprietären, sondern auch gegenüber freien Protokollen als resistent erwiesen. Jabber/XMPP konnte wegen seiner enormen Zersplitterung in zahlreiche Erweiterungen (XEPs) nie richtig Fahrt aufnehmen und gegenüber dem noch ganz neuen Matrix besteht der Vorbehalt einer Quasi-Monopolisierung beim primären Server matrix.org, da offenbar kaum jemand bereit ist, den ressourcenhungrigen Matrix-Server selbst zu hosten. Überdies fehlt dem Protokoll eine festgelegte Spezifikation, was die Entwicklung alternativer Clients abseits des offiziellen Element (ehemals Riot) erheblich erschwert. Sowohl bei IRC als auch bei XMPP gibt es dagegen eine Vielzahl verschiedener Clients, die jeden Geschmack bedienen. Insgesamt wage ich bei Matrix die Prognose, dass es wegen seiner Komplexität gemessen an IRC keine lange Lebensdauer haben wird.
IRC als digitales Café
Es lassen sich mehrere Gründe für das Überleben von IRC anführen. Zunächst einmal ist ein großer Vorteil von IRC ist seine technische Einfachheit. Das verwendete Kommunikationsprotokoll zwischen Client und Server ist so einfach, dass so gut wie jeder Programmierer eine Implementierung als Fingerübung innerhalb weniger Tage schreiben kann. Aus Endnutzersicht mag das ein irrelevanter Vorteil sein, aus technischer Sicht dagegen ist er die Basis für ein fortdauerndes Interesse an der Implementation des Protokolls selbst. Eine Plattform, deren Kommunikationsprotokoll technisch aufwendig zu implementieren ist, wird notwendigerweise eine geringere Lebensdauer aufweisen als eine, deren Protokoll schnell implementiert ist. Ganz ähnlich verhält es sich etwa auch mit Gopher, das zwar längst keine Rolle mehr in der Perspektive normaler Nutzer spielt, sich im technischen Bereich jedoch gerade unter Minimalisten einer gewissen Beliebtheit erfreut. Mit Gemini gibt es hier auch behutsame Weiterentwicklungsbestrebungen, die in der IRC-Welt mit IRCv3 Parallelen finden.
Die technische Basis kann aber nicht der alleinige Grund für das
dauerhafte Überleben von IRC sein, da auch technisch gut
ausgearbeitete Protokolle kein Garant für deren Adaption sind; im
Übrigen darf man IRC als Protokoll mit Fug und Recht bescheinigen,
nicht mehr in jeder Hinsicht zeitgemäß zu sein. Die Antwort ist in der
konkreten Einsatzform von IRC zu suchen, den verschiedenen
IRC-Netzwerken. IRC profitiert als eines der ganz wenigen Medien im
Bereich sozialer Kommunikation vom Netzwerkeffekt, der sonst eher dazu
dient, Nutzer aus freien Kommunikationsmedien in verschlossene Silos
abzuziehen. Speziell Freenode war lange Garant dafür, dass sich zu
praktisch jedem beliebigen FOSS-Projekt dort ein Chat-Kanal fand, bei
dem es sich oft genug sogar um das offizielle
Echtzeitkommunikationsmedium des Projekts handelte. Selbst nachdem
eine bedauerlicherweise immer größer werdende Anzahl von
FOSS-Projekten ihre offiziellen Kanäle aus dem IRC abziehen und in
Silos wie Slack umziehen, finden sich oft genug immer noch
Begeisterte, die einen inoffiziellen Chat-Kanal im IRC betreiben
wollen, und das hieß bislang in aller Regel: bei Freenode. So konnte
man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass es genügte, auf
Freenode die Kanalnamen #projektname
und ##projektname
auszuprobieren, um auf eine Community zu stoßen, die sich mit dem
entsprechenden Projekt befasste. Freenode wurde damit zu einer Art
digitalem Café: man ging hin, um sich über ein bestimmtes Projekt zu
unterhalten, weil man wusste, dort entsprechende Leute zu treffen. Oft
genug – auch im Falle des Verf. – haben sich aus diesen informellen
Treffen auch Freundschaften mit zuvor Unbekannten entwickelt, die über
den IRC hinaus auch im „echten“ Leben wertvoll waren und sind.
Außerhalb der FOSS-Community mag es sich für andere IRC-Netzwerke
ähnlich verhalten. Andere Plattformen konnten sich demgegenüber nicht
in derselben Weise etablieren; oft genug waren sie schon in der
Entwicklung von vornherein eher auf die Kommunikation unter Bekannten,
im Extremfall auf 1:1-Kommunikation, ausgelegt. IRC sollte dagegen von
Anfang an Treffen mit unbekannten, aber gleichgesinnten Personen
ermöglichen. Das spiegelt sich auch in der Terminologie wieder: nicht
umsonst spricht man im IRC nicht von Gruppenchats oder Chat-Gruppen,
sondern von Chat-Kanälen oder noch plastischer von Chat-Räumen.
Die Ereignisse um Freenode
Es gibt nicht das eine IRC, sondern es gibt eine wahre Vielzahl verschiedener IRC-Netzwerke. Im Laufe der Jahrzehnte ist es um viele IRC-Netzwerke still geworden, aber diejenigen mit Fokus auf den FOSS-Bereich erfreuten sich bis dato weiterhin großer Beliebtheit:
- Freenode war lange das führende Netzwerk im FOSS-Bereich.
- OFTC war fast ebenso lange der kleinere Konkurrent von Freenode.
- Im GNOME-Bereich hat GIMPNet noch eine gewisse Bedeutung.
Es soll hier nicht die gesamte Geschichte von Freenode nachgezeichnet werden. Einzelheiten lassen sich im Blog von Ariadne Conill nachlesen. Mit Fokus auf den jüngsten Ereignissen ist folgendes geschehen:
Am 19. Mai 2021 hat der Unternehmer und koreanische Kronprinz Andrew
Lee – er bezeichnet sich nicht nur selbst so, das ist tatsächlich
offiziell, wenngleich die koreanische Königsfamilie seit der Abdankung
Kaiser Joseons nach der Eroberung Koreas durch Japan 1910 keine Rolle
mehr in der Politik spielt – die Domain freenode.net
übernommen,
woraufhin die bisherigen IRC-Operatoren in einer Art Meuterei
weitgehend geschlossen ihr Amt niedergelegt haben (Link mwN) und das
neue IRC-Netzwerk Libera.Chat gegründet haben. Die Ereignisse bis zu
diesem Zeitpunkt sind für Außenstehende schwer nachvollziehbar und
wurden von der c’t soweit nach Sichtung der veröffentlichten
Chat-Schnippsel ersichtlich korrekt als „medial[e] Schlammschlacht“
(c’t 13/2021, S. 51) eingeordnet. Es soll in dieser Geschichte um
Verrat durch eine frühere IRC-Operatorin (Halterin der Domain
freenode.net
), verletzte Kindheitsträume, die Verwandlung von
Freenode in ein kommerzielles Unternehmen, gezielte feindliche
Übernahmen (ein Vorwurf, den beide Seiten sich übrigens gegenseitig
machen), Bestechung und vieles andere mehr gehen. Licht ins Dunkel
dieser Geschichte können nur die unmittelbar Beteiligten geben, womit
aber auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist. Da die öffentlich
zugänglich gemachten Chatlogs vor allem durch gegenseitige
Beschimpfungen auffallen, lohnt es sich auch nicht, die Wahrheit an
dieser Stelle zu ergründen. Das wird dereinst wohl Aufgabe von
Internethistoriken werden. In diesem Zusammenhang ist es jedenfalls
wohltuend, die neutralen Ausführungen von Ariadne Conill, der
seinerzeitigen Entwicklerin der von Freenode langährig eingesetzten
IRC-Serversoftware Charybdis
(bzw. ircd-seven
, der auf Charybdis
basiert), lesen zu können, die zum Zeitpunkt des Geschehens nicht mehr
aktiv bei Freenode involviert war.
Die nach dem 19. Mai folgenden Ereignisse standen dagegen öffentlich im Fokus. Nach einem holprigen Start wechselten innerhalb weniger Tage zahlreiche FOSS-Projekte und Nutzer das Netzwerk von Freenode nach Libera.Chat. Der Wechselprozess ist noch nicht abgeschlossen und kann in den Statistiken von netsplit.de live nachvollzogen werden. Mittlerweile ist auch der Rückgang in den Zahlen von Freenode statistisch sichtbar geworden. Man sollte sich aber vergegenwärtigen, dass netsplit.de nur die von den IRC-Servern angegebenen Zahlen graphisch aufbereitet; ob die IRC-Server wahrheitsgemäße Angaben machen, kann man nicht wissen. Die Statistiken von netsplit.de werden durch die Abb. 2 und Abb. 3 mit Stand vom 19. Juni 2021 wiedergegeben.


Am 26. Mai wurde ein mit IRC-Operatorenrechten ausgestatteter Bot
namens freenodecom
auf die noch bei Freenode bestehenden Kanäle
angesetzt (hier am Beispiel von #lobsters
). Dabei wurden den
Verwaltern sämtlicher Kanäle, deren Kanalthema das Wort „Libera“
enthielt, ohne Vorwarnung sämtliche Zugriffsrechte entzogen und die
Kanäle umbenannt. Begründet wurde das mit einem automatisierten
Hinweis auf einen angeblichen Verstoß gegen Freenodes (offenbar just
zu diesem Zweck kurz zuvor geänderte, Link mwN) Policy, die Werbung
für fremde IRC-Netzwerke untersagt. Lee, der unter dem Nickname
rasengan
auftritt, hat sich für diese Rasenmähermethode allerdings
entschuldigt. Immerhin waren auch Kanäle betroffen, die im Kanalthema
lediglich klarstellten, dass man sich in betreffs Libera.Chat noch
unsicher sei.
Danach herrschte für einige Wochen relative Ruhe. Am 11. Juni kündigte
dann die Free Software Foundation (FSF) an, aufgrund eines bereits
früher gefassten Beschlusses ihre IRC-Kanäle von Freenode nach
Libera.Chat umzuziehen. Wie Amin Bandali berichtet gilt dasselbe für
das GNU-Projekt. Die FSF und das GNU-Projekt haben im Bereich Freier
Software eine erhebliche Bedeutung, sodass Freenode damit einen
maßgeblichen Betreiber von IRC-Kanälen verliert. Dennoch ist das an
sich keine überraschende Nachricht, zumal mit der erwartbaren
Begründung, dass man mit den bisherigen IRC-Operatoren weitgehend gute
Erfahrungen gemacht habe. Erstaunlich an der Sache ist, was nach
dieser Ankündigung in den noch als Hülse auf Freenode verbliebenen
Kanälen #fsf
und #gnu
passierte. Laut der Ankündigung sollten
diese Kanäle noch bis zum 25. Juni 2021 mit einem Hinweis auf den
Wechsel versehen werden, was im Einvernehmen mit den neuen
Freenode-Operatoren beschlossen worden war. Stattdessen tauchte am 13.
Juni eine ganze Gruppe von IRC-Operatoren in #fsf
auf und entzog der
FSF ohne Vorwarnung die Kanalverwaltungsrechte. Ein in der
Authentizität nicht prüfbares Chatlog soll den Vorgang wiedergeben. Es
steht exemplarisch für die beiderseitige Emotionalität des Themas:
sowohl Freenodes IRC-Operatoren als auch FSF-Vertreter beschimpfen
einander. Weil die IRC-Operatoren am längeren Hebel sitzen, erhält ein
FSF-Vertreter (ebenderselbe Bandali, der die Ankündigung für das
GNU-Projekt schrieb) am Ende ein K-Line (Bann).
Vorerst letztes Kapitel in der Saga ist die nicht auf der Webseite, sondern am 15. Juni nur per Global Notice angekündigte Ausrollung einer neuen Serversoftware unter Löschung der bisherigen Datenbanken. Da die alten Server teils noch funktionieren, liegt damit ein von den IRC-Operatoren mutwillig herbeigeführter sog. Netsplit vor: die unterschiedlichen IRC-Server eines Netzwerks haben eine unterschiedliche Meinung darüber, welche Nicks und Kanäle es gibt.
Schlussfolgerungen
Es liegt auf der Hand, dass Freenode, wie wir es bisher kannten, nicht mehr existiert. Insoweit sei jedem empfohlen, entweder nach OFTC oder nach Libera.Chat zu wechseln. Diese rein praktische Empfehlung ist aber nicht der Grund für diesen Beitrag, zumal sie mittlerweile jedem bekannt sein dürfte. Hier soll es um einen etwas weiteren Blickwinkel gehen.
Zur Zukunft von Libera.Chat und Freenode
Zunächst stellt sich die Frage, ob Libera.Chat sich neben Freenode überhaupt etablieren kann. Es drängt sich die Befürchtung auf, Libera.Chat werde es vom Ansehen her ähnlich ergehen wie LibreOffice: die Freiwilligen wenden sich vom Inhaber der Namensrechte ab und versuchen jahrelang weitgehend erfolglos, den Nimbus des alten Namens (OpenOffice) zu erwerben. Nach zwölf Jahren ist der Name LibreOffice weiterhin außerhalb von Linuxkreisen nicht allgemein bekannt. Legt man diese Messlatte an Libera.Chat an, steht dem Netzwerk eine jahrzehntelange Durststrecke bevor, während Freenode allein von der Bekanntheit seines Namens getragen wird und unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung Nutzer anzuziehen vermag. Jedoch gibt es bereits jetzt Anzeichen dafür, dass dieses Szenario sich nicht verwirklichen wird. Dafür muss man nicht auf derart abwegige Denkweisen wie „This channel was originally created … on freenode, and stayed with the network on 2021-05-19 after that domain was lost“ verfallen11 Diese kaum verständliche Aussage findet eine Präzisierung in dieser Sysop-Stellungnahme: „The network is the people, not a domain name“. , sondern es genügt, sich die Statistiken anzuschauen und den Exodus prominenter Projekte.
Zusätzlich scheint es, als versuchten die neuen IRC-Operatoren von
Freenode, dieses wirklich nachhaltig zu zerstören. So hat man dem
geschilderten provozierten Netsplit attestiert, er führe effektiv zum
„Selbstmord“ des Netzwerks. Das allein mag nicht überzeugend sein (auf
Seiten von Freenode spricht man lieber davon, man entwickle IRC
weiter), aber die Moderationsqualität der neuen Freenode-Operatoren
ist der zuverlässigste Garant für ein mittelfristiges Verwaisen des
Netzwerks. Die oben geschilderten Fälle – der Bot freenodecom
und
die manuelle Zwangsregulierung von #fsf
– lassen erkennen, dass den
Beteiligten Führungsqualitäten fehlen. In beiden Fällen kam es jeweils
nicht nur innerhalb kürzester Zeit zur moderationstechnischen
Höchstrafe (K-Line bzw. zwangsweiser Kanalentzug), sondern dieses
geschah auch noch ohne jede Vorwarnung und ohne die Einhaltung
irgendeiner Form von Eskalationsleiter. Das ist kein professioneller
Umgang mit Verletzungen von Netzwerk-Policies, ganz besonders, wenn
diese kurzfristig zuvor geändert wurden. Mit Recht hat man kritisiert,
die neuen IRC-Operatoren von Freenode betrieben diesbezüglich
Machtmissbrauch. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, sonnt
man sich in der eigenen technischen Machtposition und lässt dies
andere in geradezu herablassender Weise wissen, wobei man deutlich
macht, an dieser Machtausübung auch noch Spaß zu haben. Das oben
erwähnte #fsf
-Chatlog macht das deutlich (Nicks mit
staff
-Markierung und der Nick root
sind IRC-Operatoren von
Freenode):
2021-06-13 06:04:23 → TheRedHorseman (~bagira@freenode/staff/phanes) has joined #fsf […] 06:43:07 → Foxy (znc@freenode/staff/foxy) has joined #fsf 06:43:46 → job (job@gateway/shell/tilde.team/x-dhtjyelnzoocvubg) has joined #fsf 06:44:04 → root (root@internet.relay.chat) has joined #fsf 06:44:19 → azend (~quassel@unaffiliated/azend) has joined #fsf 06:44:20 job oh no 06:44:26 root sudo su 06:44:35 TheRedHorseman o/ 06:44:37 ← fling (~fling@fsf/member/fling) has quit (Ping timeout: 245 seconds) 06:44:50 Foxy \o 06:45:02 * TheRedHorseman trots around in a circle, eyes gleaming red in the dark 06:45:16 → altwulf (~altwulf@64.227.64.196) has joined #fsf 06:45:46 ← wolftune (~aaron@75.164.131.0) has quit (Quit: Konversation terminated!) 06:45:53 → wolftune (~aaron@75.164.131.0) has joined #fsf 06:45:57 -- Mode #fsf [-o ggoes] by OperServ 06:46:50 ggoes never a dull moment 06:46:56 bandali ^
Das nachfolgende Geschehen ist von beiden Seiten nicht mehr zitierwürdig, aber so geht man keinen Konflikt an. So lässt man andere wissen, dass man sie als minderwertig erachtet. Das schafft ein Klima von Angst und Misstrauen, dem sich niemand freiwillig aussetzen wird. Es dürfte deshalb nicht weit hergeholt sein, Freenode zu bescheinigen, eine Art digitales Khazad-dûm xzu werden. Anders als es bei Oracle mit OpenOffice der Fall war, wird der bestehende Ruf des Namens durch die Namensinhaber in erheblicher Weise beschädigt. Das wird Libera.Chat damit schon deshalb Auftrieb geben, weil es eben nicht Freenode ist.
Nachtrag v. 26.06.2021:
Gustaf Erikson hat mir freundlicherweise seine Chatlogs des
fraglichen Tags von #fsf
und #freenode
zur Verfügung gestellt. Ich
konnte mich davon überzeugen, dass sie mit den oben zitierten Angaben
übereinstimmen.
Was wird aus IRC?
Freenode war bis zum 19. Mai 2021 das größte noch bestehende IRC-Netzwerk, weshalb sein Zerfall unweigerlich die Frage nach sich zieht, ob damit auch IRC an sich am Ende ist. Einige Projekte haben sich entschieden, statt nach Libera.Chat oder OFTC auf ein gänzlich anderes Medium zu migrieren; NixOS etwa migriert nach Matrix. Die FSF und das GNU-Projekt hatten diese Option in ihrer Entscheidung dagegen bewusst verworfen, da Matrix ihren Ansprüchen an Softwarefreiheit nicht genügt22 Interessanterweise wird auch XMPP verworfen, und zwar mit dem Argument, dass es gegenüber IRC einfach nicht genug neue Features habe. . Auch angesichts der schwierigen Entwicklungssituation bei Matrix (s.o. II.1) dürfte das eine sinnvolle Entscheidung sein. Wenn nur genug Projekte den Freenode-Zusammenbruch als allgemeinen Anlass sehen, sich von IRC insgesamt abzukehren, dann wird der 19. Mai 2021 als der Anfang vom Ende von IRC in die Internetgeschichte eingehen.
Sorgen bereiten muss weiter die Erwägung, ob die Entscheidungen der neuen Freenode-Operatoren den Ruf von IRC insgesamt beschädigen. Die Hacker-Community gilt bekanntlich ohnehin als schwierig und man benötigt im Umgang mit ihr ein dickes Fell. Torvalds legendärer öffentlicher Ausfall gegenüber NVIDIA steht hierfür exemplarisch. Der Name Freenode stand seit gut zwanzig Jahren für den Ort, an dem man sich über FOSS austauscht, wenn es etwas schneller und informeller zugehen sollte als in den Foren und Mailinglisten der einzelnen Projekte. Wenn dieser Ort nun nach Gutsherrenart geführt wird, könnte das dem Medium IRC und sogar dem Ruf der Hacker-Community insgesamt massiv schaden. Das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht ausschließen. Zu hoffen bleibt, dass die neuen IRC-Operatoren von Freenode entweder ihre diesbezügliche Verantwortung erkennen oder aber die Destruktion des verbleibenden Rumpfnetzwerks so konsequent zu Ende führen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung eine Lücke entsteht, die Libera.Chat füllen kann, bevor ein größeres Gebilde einstürzt.
Momentan sieht es allerdings danach aus, als ob sich letzteres
verwirklicht. Auch wenn die genauen Abläufe zum Vorlauf des 19. Mai
herum letztlich im Dunkeln bleiben, muss man den Libera-Operatoren
Anerkennung für ihr Husarenstück zollen. Just an dem Tag, an dem Lee
seinen Einfluss auf Freenode ausnutzt, springt in einer koordinierten
Aktion der Großteil des Freiwilligenstabs ab und hat sogleich ein fast
voll funktionales Alternativnetzwerk anzubieten. Dieser doppelte
Streich hat eine gehörige Medienaufmerksamkeit generiert, die das
betagte Medium IRC seit langer Zeit einmal wieder ins Licht der
Öffentlichkeit gerückt hat. Das hatte auch ganz unmittelbare
Konsequenzen: Wer in den ersten Tagen die Chat-Verläufe im Metakanal
#libera
mitverfolgt hat, konnte eine Menge Leute beobachten, die
sich entweder erstmals oder doch erstmals wieder seit langer Zeit mit
IRC auseinandersetzten und ob der Lebendigkeit des Medium erstaunt
waren. Ob dieser Effekt von Dauer sein wird, muss sich allerdings noch
zeigen. Das IRCv3-Projekt jedenfalls täte gut daran, die unverhoffte
Aufmerksamkeit für IRC zu nutzen.
IRC hat schon viele andere Protokolle und Dienste kommen und gehen sehen und es liegt nahe, dass auch die Ereignisse um Freenode nicht genügen, um das Protokoll auf das Abstellgleis zu stellen.
Fazit
Freenode ist am Ende, Libera.Chat am Anfang. Die Zukunft von IRC als das Kommunikationsmedium in der FOSS-Szene ist ungewiss wie nie zuvor: womöglich ist der Freenode-Zusammenbruch der Anfang vom Ende von IRC, weil er zu einer großflächigen Negativ-Evaluation des Mediums führt. Vielleicht, und das erscheint derzeit wahrscheinlicher, führt aber die gesteigerte Medienberichtertattung gerade im Gegenteil dazu, dass das alte Medium neue Aufmerksamkeit gewinnt und Libera wie IRC überhaupt gestärkt aus der Angelegenheit hervorgehen.
Fußnoten:
Diese kaum verständliche Aussage findet eine Präzisierung in dieser Sysop-Stellungnahme: „The network is the people, not a domain name“.
Interessanterweise wird auch XMPP verworfen, und zwar mit dem Argument, dass es gegenüber IRC einfach nicht genug neue Features habe.